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Bild: Statue in Rheinau bei der Holzbrücke. Foto: Marc Melchert 2012.

Schuld, Schulden, schuldig

Der äussere Richter, der innere Richter:
Schulden und Schuldgefühle

Das Gespräch vom 3. März 2014 zwischen dem Rechtsanwalt Dr. iur. Urs Egli und dem Psychotherapeut Dr. med. Marc Melchert über das Thema Schuld, Schulden, schuldig.

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Für den Juristen sind Schulden eine grosse kulturelle Innovation. Die Arbeitsleistung bekommt einen handelbaren Wert. Der äussere Richter (das Schuldrecht) regelt die aus den Schulden entstehenden Beziehungen. Für den Psychotherapeuten sind Schuldgefühle nicht eigentliche Gefühle, sondern die kognitive Abstraktion von Schamgefühlen. Es ist der innere Richter, der anregt Abhängigkeiten aufzulösen, um die Autonomie zu erhalten.

Juristen befassen sich vor allem mit Schulden.
Psychotherapeuten befassen sich vor allem mit Schuldgefühlen.

GASTGEBER: Ich heisse Euch willkommen für den heutigen Salon vom 3. März 2014 mit unseren beiden Referenten: Urs Egli ist der „Jurist“ und Marc Melchert ist der „Therapeut“. Es geht um das Thema Schuld, Schulden, schuldig. Anscheinend werden diese Wörter vom Juristen und Therapeuten in einen unterschiedlichen Kontext gestellt und erhalten somit eine jeweils eigene Bedeutung. Als Einleitung zuerst einen kurzen Werbespot der Sprachschule Berlitz:

Werbefilm der Sprachschule BERLITZ, Jahr unbekannt, Quelle YouTube

JURIST: Warum zeigen wir das? Wir versuchen, unsere Disziplinen einander näher zu bringen. Beide sprechen wir von Schuld. Aber vielleicht meinen wir nicht das Gleiche. Es ist ja klar, dass ein Psychiater am Mikrofon sitzt ….

THERAPEUT: …. und während der Psychiater versucht die Probleme zu klären, blättert der Jurist in den Gesetzen herum:

Quelle leider unbekannt, aus Internet.

GASTGEBER: Die beiden Referenten beschäftigen sich seit längerem mit der Idee, dass es viele Ähnlichkeiten und Schnittmengen zwischen Rechtslehre und Psychologie gibt. Sie haben in unserem Salon im 2009 einen Dialog gehalten mit dem Titel “Psychodynamik juristischer Fälle“. Sie haben damals aufgezeigt, dass juristische Fälle oft eine Psychodynamische Komponente haben.

THERAPEUT: Das Fazit damals war: wären deine Klienten vorher zu mir gekommen wäre der Verlauf möglicherweise anders gelaufen.

JURIST: Die Agressiven landen bei mir. Die Passiven bei dir.
Heute geht es aber um Schulden und Schuld. Das sind Begriffe, die unsere Disziplinen verbinden. Unser Gesetz, das unser privates Wirken regelt, heisst OR: „Obligationenrecht“. Obligation = Schuld. Karl Lorenz nannte es das Schuldrecht. Juristen befassen sich vor allem mit Schulden.

THERAPEUT: In der forensischen Psychiatrie (Rechtsmedizin) geht es im Zusammenhang mit Schuld häufig um die „Schuldfähigkeit“. Was ist denn das?

JURIST: Das ist eine andere Dimension! Da geht es um das Bestrafen einer begangenen Tat: Es hat sich ein Regelverstoss ereignet und darauf muss reagiert werden. Schulden sind im Obligationenrecht, Straftaten im Strafrecht.

THERAPEUT: Was bedeutet denn „Schuldfähigkeit“? Die Strafat wurde ja gemacht oder nicht gemacht!

JURIST: Für eine Bestrafung genügt heute nicht mehr nur ein Regelverstoss. Das war früher anders: Das alte germanische Strafrecht kannte ein Erfolgsstrafrecht. Ob jemand beim Holzen durch ein Unglück oder in einer Schlägerei verletzt oder getötet wurde, spielte keine Rolle, die Reaktion war immer die Gleiche. Heute kennen wir ein Schuldstrafrecht: Bestraft wird nur, wenn die Tat individuell „vorwerfbar“ ist (es kann ein Vorwurf gemacht werden). Dazu braucht es die Schuldfähigkeit, und die ist gegeben, wenn jemand in der Lage ist:

  • das Unrecht der Tat zu erkennen und
  • nach dieser Erkenntnis zu handeln.

THERAPEUT: Und worum geht es dann im vorher erwähnten Obligationenrecht?

JURIST: Ferdinand von Schirach hat einmal gesagt, er sei es leid gewesen, sich sein ganzes Berufsleben lang damit zu befassen, wer wem wieviel schulde. Deshalb hat er sich dem Strafrecht zugewandt, da ist alles viel offensichtlicher, in kräftigeren Farben gemalt. Wir machen hier heute das Gegenteil, wir betrachten in diesem Gespräch das Subtile:

Wir fragen uns, warum man anderen Menschen überhaupt etwas schuldig sein muss und wie es dazu kommt?

THERAPEUT: Also leg los. Was ist Schuldrecht? Über was sprechen wir heute.

JURIST: Das Schuldrecht beschäftigt sich damit, wie Menschen untereinander Schulden entstehen lassen können. Interessant ist, dass die Angelsachsen den Schuldbegriff ganz programmatisch aussen vor lassen. Im Deutschen haben Schulden und Schuld die gleichen ethymologischen Wurzeln. Es ist naheliegend: Wer Schulden macht, hat Schuld. Das ist pietistischer Protestantismus. Ganz anders im englischen: „Debt“ sind Schulden, „Guilt“ ist Schuld. Vielleicht ist das eine Erklärung dafür, dass die Londoner City ein so unverkrampftes Verhältnis zu Schulden („Debt“) hat.

THERAPEUT: Aber warum müssen wir im juristischen Sinne einander etwas schuldig sein?

JURIST: Das rechtliche Konzept der Schuld geht auf das römische Recht zurück. Damals entstand zum ersten Mal eine hochentwickelte Form des sozialen Austausches. Das setzt das Vorhandensein von Organisation voraus. Es gab 2 Arten von Klagen:

  • „Actio in rem“ (Klage um eine Sache): Daraus hat sich das Eigentum entwickelt. Was gehört wem?
  • “Actio in personam“ (Klage um eine Person): Daraus hat sich der Vertrag und damit die Schuld entwickelt. Wer schuldet wem etwas?

THERAPEUT: Was ist denn eigentlich ein Vertrag?

JURIST: Ein rechtlich geschütztes Band zwischen Menschen. Rechtlich geschützt heisst, dass irgendeine Instanz für die Durchsetzung sorgt.

Die Möglichkeit, ein rechtlich geschütztes Band zwischen Menschen entstehen zu lassen, ist eine grosse kulturelle Innovation.

THERAPEUT: Warum Innovation?

JURIST: Ursprünglich wurde alles selber produziert. Es gab eine Arbeitsteilung. Zum Beispiel ein Bauer und ein Töpfer: 1 Huhn gegen einen Tongefäss; das geht ganz einfach. Aber wie kaufe ich als Schreiner mit einem Stuhl 6 Eier? Das geht einfach sobald es Geld gibt, darüber reden wir später. Jetzt bleiben wir aber beim Tausch. Tausch ist nur möglich, wenn es gleichzeitig geschieht.

Der Tausch ist die Mutter aller Verträge.

THERAPEUT: Wenn das nicht geht?

JURIST: Beispiel: Ich gebe dir Saatgut und kriege einen Teil der zukünftigen Ernte. Da funktioniert der Tauschhandel nicht mehr, weil es nicht gleichzeitig geschieht. Tausch ist gleichzeitig und nur mit Waren möglich.

THERAPEUT: Was ist mit Dienstleistungen?

JURIST: Als Psychiater und Anwälte werden wir mit Schulden bezahlt. Wir erbringen eine Leistung und dafür steht dann der Kunde in unserer Schuld. Erst das Konzept der rechtlich garantierten Schuld ermöglicht also arbeitsteiliges Wirtschaften. Mit der Schuld lässt sich eine Beziehung vom hier und jetzt lösen und Handelbar machen.

Ein geregeltes Schuldsystem ermöglicht, dass Arbeitsteilung in einem Zeitverlauf gesetzt wird. Die Arbeitsleistung bekommt einen konstanten und handelbaren Wert.

Die Schuldenspezialisten sind die Banker. Die Entstehung des Banking war in Florenz in der Renaissance. Man konnte dem Bankier in Florenz Gold geben, um sich das in London zurück geben zu lassen. Das ist die Abstraktion einer Beziehung!

THERAPEUT: Wie funktioniert das?

JURIST: Dadurch dass eine höhere Instanz sagt: wenn ihr einander Dinge versprecht, dann sorgen wir dafür, dass die auch eingehalten werden. Und dieses Versprechen bezeichnet man als Schuld. Das Gesetz stellt die Regeln, wie rechtlich garantierte Schulden entstehen, was geschieht, wenn sie nicht erfüllt werden.

THERAPEUT: Wie entstehen Schulden?

JURIST: Es gibt eigentlich nur zwei Arten, wie Schulden entstehen:

  • Meeting of the Minds: Nähe zu Obligationenrecht.
  • Unerlaubte Handlung: Nähe zu Strafrecht.

THERAPEUT: Und was geschieht, wenn die Schulden nicht erfüllt werden?

JURIST: Früher kam man in den Schuldenturm, oder man wurde gar versklavt. Heute wird alles in Geld umgerechnet: Wenn Vermögen vorhanden ist, wird das konfisziert. Wenn nicht, wird die Schuld in das grosse Buch der Schulden eingeschrieben: das Betreibungsregister.
Der Bankrott ist ein Benefizium. „Banca rotta“ ist die Erklärung der Zahlungsunfähigkeit und hat folgenden etymologischen Ursprung: Wurden Geldwechsler im Mittelalter zahlungsunfähig, so hat man ihnen den Geldwechslertisch (Banca) zerschlagen (rotta). Das haben die Italiener erfunden! Das ist eine Wohltat. Die Schulden lösen sich auf, Exit.

THERAPEUT: Kürzlich kam in den Medien der Fall Erb. Wie ist das möglich, dass der vor Gericht kam und immer noch in seinem Schloss sitzt.

JURIST: Genau. Das verstehe ich auch nicht. Ich frage mich deshalb, warum Schulden bezahlt werden. Offensichtlich ist ja unser Rechtssystem nicht sehr effektiv, wenn der immer noch im Schloss sitzt. Es ist also nicht (oder nicht nur) das Rechtssystem, dass die Rückzahlung von Schulden erzwingt. Es muss etwas anderes geben. Zahlt man, weil man eine moralische Verpflichtung hat oder vielleicht, weil man eine Gegenleistung erwartet?

Um das zu verstehen brauche ich den Psychoanalytiker:
Was hast du zur Schuld zu sagen? Warum bezahlt man Schulden?

 

„Help we are sinking!“
„Let me think for you!“

THERAPEUT: Wenn ich keine Antwort liefere, bleibe ich dir etwas schuldig, weil ich deinen Wunsch nicht erfüllt habe. Mir selber gegenüber entsteht Scham, weil ich meinen eigenen Erwartungen nicht genügt habe. Wir sagen: ICH schäme MICH.

JURIST: Den Zusammenhang von Schuld und Scham verstehe ich nicht, das musst du mir erklären.

THERAPEUT: Ich möchte gerne die Begriffe Scham, Schuld, Schuldgefühl und Sünde differenzieren. Du hast bei den Römern angefangen, ich muss ein bisschen weiter zurück: zur Vertreibung aus dem Paradies. Ich nehme die Beispiele aus der Schöpfungsgeschichte der Bibel, weil das sehr schöne metaphorische Bilder sind.

JURIST: Also leg los.

THERAPEUT: Der Corpus Delicti war ein Apfel vom „Baum der Erkenntnis von Gut und Böse“. Gut und Böse bedeutet Polarität und Wertung von Unterschiedlichkeit. Erkenntnis bedeutet das Wissen davon und somit Verantwortung und daraus folgend die Schuldfähigkeit. Nach dem Biss vom Apfel erkannten Adam und Eva ihre Unterschiedlichkeit. Zitat: „Da gingen beiden die Augen auf und sie wurden gewahr, dass sie nackt waren. Sie hefteten Feigenblätter zusammen und machten sich einen Lendenschurtz“.

JURIST: Was hat das mit Schuld zu tun?

THERAPEUT: Hier geht es um Scham, noch nicht um Schuld. Sie haben die Erkenntnis einer Unterschiedlichkeit und aus diesem „anders-sein“ beginnt ein bewusster Individuations-Prozess. Die Entwicklung einer Persönlichkeit und damit deutliche Abgrenzungen:

  • zwischen Adam und Eva: Das ICH ist anders als das DU.
  • zwischen ihnen und Gott: Das ICH ist anders als das Vollkommene.

An diesen Grenzen entsteht die Scham.

JURIST: Ich schäme mich also, weil ich in der eigenen Wahrnehmung nicht „vollkommen“ bin?

THERAPEUT: Mehr als das, ich bin:

  • eigen-artig: nicht gleichgeartet wie die anderen
  • nicht vollkommen (nicht gleich wie Gott)

Es geht um die Unterschiedlichkeit und es geht darum die Verantwortung dafür zu übernehmen. Wir sind einzig-artig oder eigen-artig und Unvollkommen. Die Scham erinnert uns daran, solange wir diese Scham aushalten können und wollen.

Erkenntnis und Verantwortung für Grenze und Begrenztheit —— Das ist die Scham.

JURIST: Ok Scham ist klar geworden, aber was ist die Sünde?

THERAPEUT: Die Sünde entsteht gegenüber einer göttlichen universellen Instanz. Der Biss in den Apfel: sie haben gegen die von Gott bestimmte Anordnung verstossen. Um die Sünde zu bereinigen, gibt es nur eine Möglichkeit: die Gnade Gottes.

JURIST: Jetzt habe ich begriffen, was Scham und was Sünde ist. Das mit dem schuldig sein, ist mir aber immer noch nicht klar, vor allem in diesem Zusammenhang.

THERAPEUT: Die Last der Scham wollten sie los werden, sie haben die Scham nicht ausgehalten und versuchen diese zu vermeiden. Zuerst mal decken sie die Unterschiede mit Feigenblätter ab, sie verbergen Anteile ihrer Eigenart. Dann gehen sie noch einen Schritt weiter; sie machen Schuldzuweisungen. Adam sagt: Eva hat es getan. Eva sagt: die Schlange hat mich dazu gebracht.

Es werden Schuldgefühle beim anderen erzeugt, um das eigene Schamgefühl zu lindern.

GASTGEBER: Ich zeige Euch einen kleinen Filmausschnitt zum Thema Schuldzuweisungen. Es ist aus der Fernsehserie „Everybody loves Raymond“. In dieser Folge gibt Raymond sein zweites Superbowl-Freibillett seinem Freund und nicht dem Bruder oder Vater. Diese zwei und die Mutter, alle machen ihm deswegen Schuldgefühle, auf ihre eigene Art.

Everybody loves Raymond, S5 E13, Superbowl, ©2000, Worldwide-Pants-Incorporated and HBO-Independent-Productions

JURIST: Das sind Schuldgefühle und nicht Schuld.

THERAPEUT: Ja richtig, wir reden jetzt von Schuldgefühlen, die beim Du erzeugt werden. Im Filmausschnitt nennt das Raymond bezüglich seiner Mutter: „Guiltmachine“. ( …. versuche nicht, mich zu beeinflussen, ich sehe du startest deine Schuldgefühl-Machinerie ein …. ) Das kann sehr subtil ablaufen, manchmal reicht sogar ein entsprechender Blick! Danach sagt die Mutter: ( …. ich habe keine Schuldgefühl-Maschine, ich habe lediglich die Hoffnung unsere Familie möge glücklich sein …. ). Ihre „Hoffnung“ ist eigentlich eine Erwartung. Erwartungen sind drohende Schuldgefühle: Man will die Erwartungen erfüllen, um die Schuldzuweisung zu vermeiden.

Erwartungen sind das Wartezimmer von Schuldgefühlen.

JURIST: Scham und Schuldgefühle, bitte nochmals den Zusammenhang.

THERAPEUT: Die Schuldzuweisung erzeugt beim Betroffenen Schamgefühle. Das eigene Schamgefühl wird exportiert! Schuldgefühle sind sehr nahe bei der Scham: beide sind subjektiv und müssen nicht objektiv nachvollziehbar sein. Beide entstehen nicht aus einer Handlung, sondern aus der Bewertung von einer Situation. Die Unterschiede sind:

  • Scham ist ein intimes Gefühl, das schwierig zu beschreiben ist. Schuld„gefühle“ dagegen sind Gedanken, die einfacher in Worte zu fassen und zu komunizieren sind.
  • das Schuldgefühl hat ein Bezugssystem und setzt ein Beziehungsnetz voraus (Du, Familie, Gesellschaft).

Schuldgefühle sind die kognitive Abstraktion von Schamgefühlen.

JURIST: Und kann aus Scham auch eine reale Schuld entstehen?

GASTGEBER: Ja, es gibt auch die Möglichkeit Scham zu vermeiden, indem man daraus eine Schuld macht: die Scham wird durch eine Handlung zur Schuld. Dazu gibt es in der Bibel auch ein schönes Beispiel: „Kain und Abel“. Kain erschlägt seinen Bruder aus Neid und Verbitterung, weil der Bruder mehr Beachtung für die gemachten Opfergaben bekommt. Aus seinem Gefühl heraus nicht zu genügen, seinem Gott nicht zu gefallen, entsteht Scham. Für diese Scham gibt er seinem Bruder die Schuld und er selber spürt nur die Verbitterung. Durch das Morden seines Bruders wird Kain aber schuldig. Die verdrängte Scham wird zu einer realen Schuld.

JURIST: Bitte erkläre nochmals zusammenfassend den Unterschied zwischen Scham und Schuld, oder sollte ich sagen zwischen Adam und Kain?

Gott fragt Adam: „wo bist Du?“ Adam antwortet: „ich habe mich versteckt, da ich nackt bin.“
Gott fragt Kain: „Wo ist dein Bruder Abel?…….was hast Du getan?“

THERAPEUT: Wir sehen hier eine Metaphorische Umsetzung davon, was der Unterschied ist von Scham und Schuld. Der Dialog zur Scham ist: „wo bist du“ und „ich bin nackt“ — es geht um das Sein, (so-sein-wie-ich-bin). Schuld führt zu den Fragen: „wo ist dein Bruder“ und „was hast du getan“ — es geht um eine Handlung und um eine Interaktion des ICH mit einem DU. Scham fühle ich. Schuldig bin ich. Das Schuldgefühl ist dazwischen, hat von beidem etwas. Die Sünde ist, wenn ich eine göttliche Ordnung verletze.

Bringe ich im Traum jemand um, schäme ich mich am morgen — wenn ich den Traum jemandem erzähle, habe ich ein Schuldgefühl — bringe ich real jemand um, bin ich real schuldig.

JURIST: Bei der Schuld geht es also um den Verstoss gegen ein äusseres Referenzensystem. Es geht um einen Vorwurf und nicht um eine Selbstwahrnehmung wie bei der Scham. Das hast du gut erklärt, aber schäme dich, du bleibst mir immer noch eine Erklärung schuldig. Was du erläutert hast betrifft die Schuld (englisch: guilt), kommen wir zurück zu den Schulden (debts).
Ich weiss immer noch nicht warum man Schulden zurückzahlt!

THERAPEUT: Nur Geduld! Der Zusammenhang von Scham und Schuld ist wichtig, um deine Frage zu beantworten. Jetzt kommt noch eine neue Dimension dazu: die Autonomie und die Bindung. Ich fahre fort und wechsle die Kulisse: neue Arena, und neue Figuren:
Ab der Geburt (Analog zur Vertreibung aus dem Paradies!) beginnt das Kind sich zu einem Individuum zu entfalten und sich von der Mutter zu befreien. Getrieben von dem Bedürfnis nach Autonomie und von der Neugierde.

JURIST: Ja, das kenne ich als Vater. Kindern entfernen sich von den Eltern vom Moment der Geburt. Das ist in Metern messbar …. ….

GASTGEBER: Dazu möchte ich einen kleinen Filmausschnitt zeigen. Es ist ein Werbespot, der die Thematik der Ablösung aufzeigt.

Werbefilm Kondome „Jonny’s“, Jahr unbekannt, Quelle YouTube

THERAPEUT: Der Wunsch nach Autonomie und der Wunsch nach Bindung und Zusammengehörigkeit. Ein Wechselbad der Gefühle.

JURIST: Wo ist das Problem an diesem Wechselbad?

THERAPEUT: Beides besteht gleichzeitig! Der Wunsch nach Autonomie und das Bedürfnis nach Bindung, beide bestehen mit gleicher Intensität und müssen gleichzeitig bestehen dürfen. Das ist für Kinder und für Erwachsene sehr schwierig unter einen Hut zu bringen, das macht die Ablösung manchmal schwierig. Das zeigt der Werbespot sehr schön, die Mutter kann den Sohn nicht loslassen, sie erzwingt Bindung und verhindert dem Sohn ein eigenes Erlebnis. Es geht um die Fähigkeit, dem Ich und dem DU einen jeweils eigenen Wert zu geben, so wie es ist. Ich bin Ich Du bist Du. Das bedingt Unterschiedlichkeit und Eigenart und das Gefühl von Unvollkommenheit. Du siehst, wir sind jetzt wieder bei der Scham angekommen: Eigenart und Unvollkommenheit löst Schamgefühle aus.

JURIST: Und wenn es nicht gelingt diesen Konflikt zu meistern?

THERAPEUT: Die Scham wird nicht als solche erlebt, gefühlt. Es entsteht Neid, Eifersucht, Rache, Habgier. Diese Gefühle können dann zu sogenannten Straftaten führen.

So wird der Beschämte zum Schuldigen. Er will Unterschiedlichkeit aus der Welt schaffen. Wer nicht gleich ist wie ich, darf nicht sein.

JURIST: Wie macht er das ?

THERAPEUT: Es gibt 2 Möglichkeiten:

  • Verschmelzung des ICH und DU zu einem WIR: das Du wird erobert und kontrolliert, es wird verhindert dass es eine eigene unterschiedliche Persönlichkeit entfaltet.
  • Abspaltung oder Zerstörung des DU (zum Beispiel: Kain): das Du wird entfernt und somit auch die Unterschiedlichkeit.
  • In Kombination bedeutet das: wenn möglich kontrollieren, sonst zerstören.

JURIST: Nice try! Aber du bist immer noch in meiner Schuld, mir meine Frage zu beantworten: Warum werden Schulden bezahlt?

THERAPEUT: Schuld ist erzwungene Bindung mit Verlust der Autonomie. Ich mache Dich zum Schuldigen heisst, ich mache dich abhängig von mir, ich kontrolliere Dich. Wenn ich mich verschulde, zwinge ich mich selber zur Verbindlichkeit (Verbindung). Wenn ich mich schuldig mache, liefere ich mich der Strafverfolgung aus und begebe mich dadurch in eine Abhängigkeit. Durch diese Verbindlichkeit und Abhängigkeit verliere ich Autonomie und vermeide so die Scham.

JURIST: Ein teurer Preis! Jetzt beginnt es mir zu dämmern.

THERAPEUT: Schuld und Schuldgefühle bedeuten Kontrolle und Macht abgeben. Das kann sinnvoll sein, aber es kann auch gefährlich werden, falls die Abhängigkeit unlösbar bleibt. Man wird diese dann nicht mehr los und verliert immer mehr die Autonomie und Individualität.

JURIST: Aha, mit der Schuld erzeuge ich also eine Bindung. Ich hatte ja die Schuld als Abstraktion der Beziehung definiert. Beispiel mit dem Dienstleister. Das ist eine gute Form, der Verbindlichkeit ein Tauschhandel mit einer zeitlichen Dimension, zum Beispiel: Dienstleistung gegen Geld, alles ok. Wenn ich aber etwas annehme, ohne zu zahlen, bin ich in der Schuld und der andere hat Kontrolle und Macht über mich.

THERAPEUT: So läuft das bei der Mafia und bei sektenartigen Strukturen und manchmal in der Politik. Eine Gefälligkeit, ein Geschenk, Privilegien, diese verpflichten und schaffen Abhängigkeit. Eine erzwungene Beziehung: ich gewinne Zugehörigkeit und Schutz aber ich verliere ein Stück meiner Autonomie und Authentizität.

GASTGEBER: Dazu eine kleine Zeichnung:

Quelle leider unbekannt, aus Internet.

 

JURIST: Im NZZ Stilberater vom vorletzten Wochenende habe ich folgende Frage an die Stilberaterin gelesen: In einer Bar wird mir von einem Unbekannten aus der Ferne ein Drink bezahlt. Lasse ich diesen stehen oder proste ich dem Herrn zu und ignoriere ihn einfach? Verpflichte ich mich zu einer Unterhaltung mit dem Unbekannten, wenn ich den Drink annehme?. Die gute Frau Henriette Kuhn antwortete: Bei der Sache mit dem Drink plädiere ich dafür, dies als eine nette, unverbindliche Geste männlichen Flirtverhaltens zu betrachten. Das nächste Mal können sie den Drink annehmen und ihm zuprosten. Den Drink zurück gehen lassen ist uncharmant. So viel Abwehrhaltung ist auch nicht nötig, denn Sie sind nicht verpflichtet, sich auf ein Gespräch einzulassen.
Bist du einverstanden Therapeut?

THERAPEUT: Das ist eine Grenzsituation. Ist es ein Flirt = Spiel oder ist es der Beginn einer Inbesitznahme? Klärung bringt ein humorvoller Umgang mit der Situation oder ein offenes Ansprechen des real existierenden Konflikts. Schlechte Absichten vertragen weder Humor noch Wahrheit.

JURIST: Darin liegt ja dann auch das Problem der Bestechung. Ok, aber nochmals: Warum zahle ich Schulden zurück?

THERAPEUT: Der Schuldige will seine Autonomie zurück erhalten. Wir wollen eben beides: Bindung und Autonomie, das ist ja der Grundkonflikt. Verschuldung und Schuldzuweisung erzwingen Bindung ….

JURIST: …. aber dann fehlt die Autonomie ….

THERAPEUT: …. und genau darum, will der Schuldner seine Schuld zurück zahlen oder seine Schuld wieder gut machen. Er möchte seine Autonomie zurück gewinnen.

Es ist der innere Richter der antreibt die Abhängigkeit aufzulösen und die Autonomie wieder herzustellen.

JURIST: Durch das Bezahlen einer Schuld will ich mich aus der Versklavung loskaufen.

THERAPEUT: Ja, das ist im wahrsten Sinne des Wortes Emanzipation.

JURIST: Das Wort kommt vom Lateinischen: „e manum cipere“ …. Sklavenfreilassung.

THERAPEUT: Scham, Schulden machen, schuldig werden, Schulden zurückzahlen sind Ausdrucksformen des Umgangs mit dem Grundkonflikt Bindung-Autonomie. Wie effizient wir damit umgehen können, hat mit den frühen Bindungserfahrungen zu tun. Wir haben gesehen: Schulden können zu einem guten Geschäft oder zu guten Beziehungen dazu gehören und problemlos sein, aber Schulden können auch zur „Versklavung“ führen.

JURIST: Und noch nochmals zum Verständnis: Wie entsteht die Scham?

THERAPEUT: Scham entsteht aus dem Grundkonflikt Bindung-Autonomie: Dieser Grundkonflikt erzeugt einerseits Verbindung und Abhängigkeit anderseits Grenze und Begrenztheit. Beides ist Segen oder Fluch, je nach dem, wie gut wir damit umgehen können. Das Meiste, was Psychotherapeuten, Pädagogen, Sozialarbeiter und Eltern machen, hat mit diesem Grundkonflikt zu tun. Und eben, vielleicht gilt das auch für Juristen.

Bindung — Autonomie, das ist die Mutter aller Konflikte.

JURIST: Es gibt Leute, die immer wieder Schulden machen. Was ist denn mit diesen los?

THERAPEUT: Pathologische Form von Bindung und Befreiung. Perverse Form von Bindung und Autonomiethematik. Säkularisierte Form des Konfliktes Bindung–Autonomie.

JURIST: Dass Schulden bezahlt werden, hat einen psychodynamischen Hintergrund.

Equilibrium zwischen Bindung und Autonomie.

THERAPEUT: Ich bin froh, du hast mich verstanden, meine Schuld ist aufgelöst.

…. Schuld befreit von der Scham ….
…. Schuld ist wie Sekundenkleber ….

JURIST: Wir müssen nochmals über das „schuldig“ sprechen. Was meinst du zur Zurechnungsfähigkeit, insbesondere im Zusammenhang mit psychiatrischen Gutachten in Strafverfahren?

THERAPEUT: Strafe ist wie Schulden zurückbezahlen. Es wird wieder ein Stück Autonomie zurückgegeben. Keine Strafe heisst keine Grenze/Begrenzung setzen, das bedeutet keine Autonomie ermöglichen, somit bedeutet es: die Scham vermeiden. Strafe kann einen Ausgleich schaffen und einen Neustart ermöglichen.

JURIST: Der Jugendanwalt der den Schläger nicht straft, ist wie die Mutter, die mit den Parisern winkt.

THERAPEUT: Dem Kind keine Grenzen setzen, heisst dessen Individualität nicht ernst nehmen. Der Mensch braucht ein Milieu wo Autonomie entstehen kann und das braucht Grenzen. Das bedeutet Scham ermöglichen! Wenn man dem Jugendlichen das Gefühl der Übermacht oder Allmächtigkeit vermittelt, er darf alles ohne Konsequenzen, verunmöglicht man ihm eine Identität zu entfalten, die sich integriert. Er wird sich nicht emanzipieren können und wird sich wieder schuldig machen, ein ewiger Prozess. Der Grundkonflikt Beziehung-Autonomie ist nicht immer einfach zu lösen, das muss gelernt werden.

JURIST: Schuldunfähig = Schamunfähig?

THERAPEUT: Ja genau. Es muss die Schamlosigkeit korrigiert werden. Sozialisation heisst, lernen mit Scham umzugehen. Resilient mit Schamgefühlen umgehen können, damit diese nicht ausagiert werden müssen und zu einer Schuld werden.

JURIST: So wie das Kain gemacht hat! Der Schuldige muss also lernen, sich zu schämen, damit er gar nicht erst schuldig werden muss.

THERAPEUT: Er muss lernen seine Eigenart zu erkennen und zu akzeptieren. Lernen mit Grenzen umzugehen heisst eine Individualität entfalten. Keine Grenzen — keine Autonomie — keine Individualität.

JURIST: Strafen heisst Restitutio der Individualität. Interessant Stadtrat Wolff, der den schwarzen Block als Bereicherung des 1. Mai bezeichnet.

THERAPEUT: Er nimmt ihnen die ureigene Identität weg und macht sie zum Unterhaltungsblock des 1. Mai. Ich würde mich von dieser „Mutterfigur“ distanzieren wollen. Sie wollen nicht eine Bereicherung (Beilage) sein, sie wollen ihre Autonomie darstellen. Wenn sie sich dabei strafbar machen, bleiben sie aber am System kleben, das ist ein schwieriges Dilemma.

JURIST: Kuscheljustiz ist Identitätsverwässerung.

THERAPEUT: Sowohl Opfer als auch Täter müssen Integrität und Individualität wieder zurück erhalten. Das geht nicht ohne Respekt für Grenzen. Eine grenzenlose Gemeinschaft respektiert keine Individualität. Wiedergutmachung ist für das Opfer Heilung des verletzten Selbstbildes. Das gilt auch für den Täter: Schuldbegleichung kann Heilung der geschädigten Individualität bedeuten.

GASTGEBER: Wir haben Schulden nun juristisch und psychoanalytisch diskutiert. Es fehlt noch eine Dimension: die Ökonomie.

Uns interessiert nun auch noch, wie die Schuldenprofis, die Ökonomen, das Thema Schulden betrachten.

JURIST: Zuerst einmal beurteilen Ökonomen, Schulden finanztechnisch-mathematisch. Für Ökonomen sind Schulden ein Passivposten in der Bilanz. Das ist etwas ganz Rationales.

THERAPEUT: Ist Schulden machen denn ökonomisch rational?

JURIST: Ja, wenn es zu Investitionszwecken erfolgt. Unternehmen müssen investieren. Maschinen kaufen. Wenn Sie damit warten müssten, bis sie das Geld haben, kämen sie nie ans Ziel. Manche Unternehmen müssen sogar sehr viel Kapital aufnehmen. Vor allem die Banken. Wenn eine Bank Geld leihen will, dann muss sie sich das beschaffen.

THERAPEUT: Wie ist das im privaten Bereich mit den Schulden?

JURIST: Hypothekarschulden sind der Hauptanwendungsfall. Auch privat in Bildungskredite können ökonomisch sinnvoll sein. Vor allem im angelsächsischen Bildungssystem. Langfristig müssen sich aber einnahmen und Ausgaben die Wage halten. Sonst droht Überschuldung.

THERAPEUT: Und gelingt das?

JURIST: Der einzelne Haushalt kann das sehr gut. Erst ist sogar sehr konservativ. Nur eine andere Gruppe ist noch konservativer. Das sind die privaten Vereine. In der Schweiz haben die Haushalte abgesehen von Hypotheken wenig bis gar keine Schulden. Die italienischen Haushalte sind sogar noch tiefer verschuldet als die schweizerischen. Auch die Unternehmen können das relativ gut. Und wenn nicht, wird das Unternehmen durch Konkurs aufgelöst.

Mit dem Konkurs werden die vom Unternehmen gebundenen Produktionsmittel wieder frei und können von anderen, besseren Unternehmen genutzt werden.

THERAPEUT: Wo ist denn das Problem?

JURIST: Bei den Staatsschulden.

GASTGEBER: Ich zeige euch einen kleinen Filmausschnitt aus dem Film „The International“, ein Politthriller und Actionfilm des Regisseurs Tom Tykwer. Dieser Ausschnitt zeigt, was ein Waffenhändler über Banken und Schulden sagt.

Ausschnitt aus dem Politthriller “The International” des Regisseurs Tom Tykwer, 2009, Quelle: YouTube

THERAPEUT: Hier wird es ausgesprochen: Schulden machen abhängig, geben die Macht dem Geldgeber. Dieser hat dann die Kontrolle!

JURIST: Nicht nur private Haushalte und Unternehmen nehmen Schulden auf, sondern auch die Staaten. Und zwar in ganz massivem Umfang. Einerseits zur Finanzierung von Investitionen. Das ist aber leider die Ausnahme. Mit dem weitaus grösseren Teil werden strukturelle Defizite finanziert.

THERAPEUT: Was ist ein strukturelles Defizit?

JURIST: Ganz einfach. Die Ausgaben des Staats sind immer grösser als seine Einnahmen, die Steuern nämlich.

THERAPEUT: Und was geschieht mit den Defiziten?

JURIST: Sie werden angehäuft. Von Jahr zu Jahr auf die neue Rechnung überschrieben. Eigentlich müssten Defizite ja in den Folgejahren ausgeglichen werden. Das geschieht aber nicht. Frankreich z.B. hat den letzten 50 Jahren nicht einmal eine positive Rechnung erzielt.

THERAPEUT: Wie hoch ist die Verschuldung der Schweiz?

JURIST: Relativ tief. Man misst die Staatsschulden im Verhältnis zum Bruttoinlandprodukt (BIP). Der Wert aller im Inland erbrachten Leistungen. Das ist eigentlich wie bei privaten Haushalten. Auch dort setzt man bei der Beurteilung der Bonität die Schulden zum Einkommen in ein Verhältnis. Die Schweiz hat ein BIP von 600 Mia. CHF. Die Staatsschuldenquote der Schweiz ist bei 50%, das sind 300 Mia. CHF. Das heisst 37’500 pro Kopf. Deutschland liegt bei 100%, ebenso die USA, Italien bei 133%, Griechenland bei 156%. Am unteren Ende haben wir Norwegen mit 26%, Schweden mit 41%, Dänemark mit 44% und eben die Schweiz mit 50%.

THERAPEUT: Wie kann das soweit kommen?

JURIST: Leider einer der grössten Nachtteile der Demokratien.

Staatsfinanzen sind die Allmend der Politik.

Das kennt man aus dem Mittelalter. Die Dörfer hatten Gemeinschaftsland. Dort konnten alle ihr Vieh weiden lassen. Natürlich schickt man sein Vieh lieber auf die Allmend, als auf das eigene Land. Die Politiker bedienen sich also an den Staatsfinanzen, um ihren Wählern Geschenke zu machen und wieder gewählt zu werden. Jeder erhält etwas, um seine Wählerschaft ruhig zu stellen. Die Bauern, die Mieter, Steuergeschenke für die Wirtschaft ….
Die Kosten werden verstaatlicht. Gesundheit und Verkehr sind gute Beispiele. Kosten werden von der Allgemeinheit getragen und landen in den Defiziten. Die wahren Kosten werden aus politischen Überlegungen nicht auf die Nutzer umgelegt, respektive nicht via Steuererhöhungen eingefordert.

THERAPEUT: Wir schicken unsere Kühe also nicht auf die Allmend sondern in die S-Bahn. Wer soll das bezahlen?

JURIST: Sicher nicht die Veruracher. Die sind dann wahrscheinlich schon tot. Am ehesten die nächste Generation. Schon David Ricardo sagte: Die Defizite von heute sind die Steuern von morgen. Aber man muss sich keine Illusionen machen. Kein Politiker wird Steuern erhöhen, um die Schulden seiner Vorgänger abzubauen. Es wird also weiter rot geschrieben und auf die nächste Rechnung vorgetragen. Die Druckerpressen sind am Laufen!

Und irgendwann wird die Inflation kommen und die Schulden wegfressen und damit leider auch den Wert der angesparten Vermögen.

Eine andere Möglichkeit ist ein Staatsbankrotte. Das kommt übrigens häufiger vor als angenommen. Griechenland war seit der Gründung vor 150 Jahren schon 6 mal Bankrott. Eine Zwischenform wären Währungsschnitte. Argentinien hat das kürzlich erlebt. Das ist dann quasi Inflation über Nacht.

THERAPEUT: Wann kommt Inflation und wann Bankrott?

JURIST: Natürlich wollen die privaten Gläubiger der Staaten, die Finanzwirtschaft, keine Bankrotte sehen. Sie wollen also Inflation. Und bei grossen Staaten (USA) ist ein Bankrott schlecht denkbar. Da sind die wirtschaftlichen Interessen am Status Quo einfach zu gross. Vergessen wir aber nicht: einzelne Städte in den USA sind ja schon Konkurs gegangen (Detroit). Und auch Kalifornien war einmal zahlungsunfähig. In der Schweiz wurde die Gemeinde Leukerbad einmal unter Zwangsverwaltung gestellt.

THERAPEUT: Nachdem, was wir vorher zur Autonomie gesagt haben, macht mir das schon etwas Angst. Ist der Staat also unfrei? Sehen die Ökonomen das nicht etwas zu rational?

JURIST: Ja, meistens leider. Ökonomie ist eine sehr mathematisch geprägte Wissenschaft. Ökonomen meinen, die rechte Verteilung der Güter (also die Gerechtigkeit) mit der Formel von Angebot und Nachfrage ausrechnen zu können. Nur, so einfach ist das nicht. Zurück zu den Schuldner-Ländern. Was meinst du, warum sind es ausgerechnet die skandinavischen Länder und die Schweiz, die so sparsam sind?

THERAPEUT: Möglicherweise weil sie die besseren inneren Richter haben?

GASTGEBER: Das scheint mir ein günstiger Moment für den Abschluss dieses Gesprächs, unser Zeit-Budget ist verbraucht! Ich bitte Euch um einen kurzen zusammenfassenden Abschluss.

JURIST: Also zusammenfassend aus meiner Sicht: Schulden lösen Beziehungen aus dem hier und jetzt, machen sie abstrakt und damit handelbar. Erst dadurch wird eine arbeitsteiliges Wirtschaften möglich.

THERAPEUT: Aber Vorsicht bei der Anwendung des „Sekundenklebers“. Manchmal bringt man den nicht mehr von den Fingern weg.

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